” Det wo d Mungge pfiifed “
Prolog
Ich hatte von diesem schönen Flecken ganz am Rande der Schweiz gelesen. Die Wettervorhersage für den Alpenraum war okay, also nichts wie raus aus der muffigen Büroluft und rein ins Naturparadies! Mein Ziel für diesen Fahrrad-Sommerausflug war das “Val Müstair” am östlichsten Zipfel der Schweiz, grenznah an I und Ö. Bei der Anreise mit dem Auto über Fern- und Reschenpass war richtig viel los. Am Reschen wollten alle Leute ein Foto von sich mit dem Kirchturm im See haben. Ich ging dem Stress soweit möglich aus dem Weg und vermied es anzuhalten. Wenig später kamen Bergliftanlagen, wo die Biker mit ihren Downhill-Boliden reihenweise Schlange standen – das war so gar nicht meine Welt. Mehr Ruhe auf der Strasse kehrte dann aber ein, sobald die Straße in Mals abbog um dem italienischen Vinschgau den Rücken zu kehren: ich rollte ganz entspannt durch hübsche Dörfer die umgeben waren von sattgrünen Wiesen, die Ecken der meist bemalten und oft liebevoll geschmückten Hauswände verengten immer häufiger das Durchgangssträsschen. Das gefiel und es kehrte neben der Vorfreude auf die kommenden Tage wie von selbst eine tiefe, innere Entspannung ein. Kurz hinter Taufers überquerte ich die Landesgrenze zur Schweiz und war fast an meinem Fahrziel angekommen. Im Dörfchen Sta. Maria suchte ich mir einen guten Parkplatz. Erstmal durchatmen, die Bergluft in die Lungen ziehen und dann erstmal in Ruhe das Bike zusammenbauen. Bevor ich mich an die Auffahrt zum Pass Umbrail machte, sagte ich kurz Hallo in meinem “Hotel Stelvio” in dem ich ab Morgen für 3 Nächte reserviert hatte. Die Chefin Coni begrüsste mich sehr herzlich und wünschte mir eine gemütliche Auffahrt zum gleichnamigen Passo auf der italienischen Seite. Die kommende Nacht hatte ich auf der Tibethütte reserviert, aber ab Morgen wollte ich im Val Müstair sein.
Der erste Tag: Donnerstag 8. August 2019
Sta. Maria – Pass Umbrail – Stilfser Joch – Tibet Hütte
Gegen 16 Uhr startete ich im Ortskern von Sta. Maria (1375m). Mein Weg war die Strassenauffahrt zum schweizerischen Umbrail Pass (2503m) und weiter hoch zum italienischen Stilfser Joch (2758m). Die kurvenreiche Passstrasse war sehr schön zu fahren, anfangs angenehm schattig im Wald, kaum Verkehr, allerdings stellenweise sacksteil und zog sich in die Länge. Tornante für Tornante – ich habe sie nicht mitgezählt. Am Umbrail schnaufte ich erstmal durch am Kriegerdenkmal und las die Infotafeln zwischen den rostigen Silhouetten der ehemaligen Gebirgskämpfer. Die vielen Infos zum ersten Weltkrieg 1914/18 gaben einen Eindruck was sich Unvorstellbares damals hier im Hochgebirge an der Ortlerfront abspielte. Die Bergwege führten immer wieder an stummen Zeugen aus dieser schlimmen Zeit vorbei.
Irgendwann im oberen Teil öffnete sich schließlich der Wald und gab den Blick auf das Sommerskigebiet am Stelvio-Gletscher und die Gebäude oben am Pass frei. Von da an hatte ich das Ziel vor Augen, was Kurbelumdrehung für Kurbelumdrehung auf der steilen Passstraße nicht wirklich leichter machte. Ich bin von unseren Mittelgebirgen solche langen Anstiege nicht gewohnt. Bei der Tourenplanung hatte ich mir noch den oberen Teil des legendären Tibettrail erträumt, der verlockenderweise direkt vor der Hütte startet, als nettes Trail-Betthupferl sozusagen. Aber diese Idee wurde spätestens auf den letzten, steilen Metern hoch zum Stelvio aus dem schwitzenden Hinterkopf verdrängt. Als mich in der Passage, noch vor dem ersten Schneefeld, ein Einheimischer ganz locker auf seinem 10-Gang Tourenrad von anno dazumal überholte, mit einem herablassenden Spruch zu meiner hohen Übersetzung die er auch gerne unter dem A…llerwertesten hätte, da wusste ich das ich total platt und einfach nur froh war gegen 8 oben auf dem Pass zu sein.
Am Scheitelpunkt kam eindrucksvoll der König der Ostalpen zum Vorschein und sonnte sich im Abendlicht, leider war sein weißer Eispanzer von Wolken umhüllt. Endlich auf Tuchfühlung mit dem Ortler! Das sah super fotogen aus, aber ich zitterte von der ungewohnten Anstrengung und ein bisschen wegen des kalten Luftzugs hier oben. Ein paar Schnappschüsse waren schnell in den Kasten geknipst und dann ging es die letzte kleine Rampe hoch und rein in die warme Tibet Hütte zum wohlverdienten Abendessen.
Ich war der letzte angemeldete Gast des Tages und wurde schon sehnsüchtig erwartet. Der Koch wollte endlich Feierabend machen. Auf dem Menu stand als Primi Reis mit Pilzsoße, dann Secondi Schni-Po mit grünen Bohnen und dazu einen Salat. Mangiare war buono, aber ich brauchte viel Flüssigkeit zum Nachspülen, nach dieser körperlichen Anstrengung. Es ist halt immer wieder eine ganz andere Hausnummer hier im Hochgebirge zu touren. Der Alpengasthof Tibet Hütte ist ein Turmgebäude nach tibetanischem Vorbild gebaut. Durch die exponierte Lage hat man vom Restaurant und der Terrasse einen schönen Rundumblick in die Bergwelt, die klaro vom Ortler dominiert wird. Von hier konnte man die unzähligen Kehren der Stelviopassstrasse bestaunen, die kunstvoll in den Steilhang gezimmert waren – ein Traum für Rennradler oder Cabriofahrer. Die Zimmer oben im runden Turm waren entsprechend unförmig und knapp bemessen, aber das war mir jetzt ganz egal. Nach einer heißen Dusche ging’s früh Schlafen. War ein langer Tag heute und Morgen soll es richtig geil werden! Gute Nacht..
Tibet Hütte https://www.tibet-stelvio.com/. Kostenpunkt für HP + Getränke beim Abendessen 68,50 EUR.
Der zweite Tag: Freitag 9. August 2019
Tibet Hütte / Stelvio – Dreisprachenspitze / Refugio Garibaldi – Passo Umbrail – Bocchetta di Forcola – Punta di Rims – Piz Umbrail – Lai da Rims – Tschuccai – Sta. Maria.
Buon giorno! König Ortler aus meinem Fenster in der Tibet Hütte. Im Morgenlicht stellte sich die Szenerie wieder ganz anders da. Gegenüber, von hier oben gut zu erkennen, schmiegte sich der Wanderweg zum Goldsee an den Steilhang. Diesen unter Bikern nicht unbekannten Trail würde ich sehr gerne mal machen, aber eben ein anderes Mal. Sowieso befürchtete ich viele Wanderer und Biker dort anzutreffen, was den Erlebniswert vermutlich etwas eintrüben würde.
Über dem Tal im italienischen Vinschgau lag eine Dunstglocke. Hier oben auf 2800m aber war die Luft frisch und klar. Nach leckerem Rundum-Panorama-Frühstück startete ich morgens gegen 8 von der Tibet Hütte in den kurzen aber steilen Anstieg zur Dreisprachenspitze. An dieser Stelle trafen vor über 100 Jahren tatsächlich einmal drei Länder aufeinander: Italien, Schweiz und Österreich und auch heute treffen sich hier noch immer 3 Sprachen: Rätoromanisch spricht man in Graubünden, Italienisch in Italien klar und das in Südtirol übliche Deutsch. Ein in jeder Hinsicht interessanter Flecken Erde hier oben! Mich beschäftigte aber jetzt wie sich der Trail von der Dreisprachenspitze runter zum Umbrail Pass am frühen Morgen anfühlte. Das Refugio Garibaldi ließ ich links liegen und stach direkt in die Abfahrt. Alles easy, der 350 hm Trail war locker abzurollen. Ruckzuck war ich unten am Pass Umbrail, an dem ich Gestern Abend noch so laut geschnauft hatte. Heute Morgen war ich tiefenentspannt und suchte gleich nach dem Einstieg in den Wanderweg zur Bocchetta di Forcola. Während ich so die Wege studierte kam ein vollbepackter Shuttle am Pass an und lud eine große Gruppe bunt gestylter Biker aus, die sich lautstark prabbelnd an den Aufstieg zum Piz Umbrail machten. Sowas hatte ich befürchtet: Bikerstau am Wanderweg 🙁 Irgendwo hatte ich gelesen, dass der Wanderweg zum Piz über die Krete gut machbar sein sollte. Ich blieb also erstmal auf der italienischen Seite und suchte den Wanderweg zur Bocchetta di Forcola. Der stellte sich als wunderbar zu fahrender Höhenweg heraus.
Immer wieder tönte der Sound der PS Boliden, die von Bormio kommend in den Kehren der Stelviopassstrasse mit dem Gas spielten, aber irgendwann übernahmen Kuhglocken und Murmeltiere das Kommando. Einmal konnte ich eine ganze Murmeltierfamilie mit 3 Jungtieren beobachten, bis sie laut pfeifend in ihrem Bau verschwanden.
Der Trail war bis kurz vor der Bocchetta gut zu fahren, aber am letzten Stück musste ich kapitulieren und schulterte mein Bike. Die Überreste der Stellungen aus dem erste Weltkrieg luden zum Verweilen ein und während ich so vor mich hin döste, kam ein Powerbiker, der das komplette Steilstück hochtrat – unglaublich! Der Kollege hielt sich auch nicht lange auf und hatte scheinbar keine Zeit zu verlieren. Ich machte weiter Pause und es kamen mehrere Gruppen von Bikern den Hang hinauf (Bikes geschoben oder getragen). Es konnten auch Transalpler dabei gewesen sein, so wie manche bepackt waren. Allesamt fuhren in Richtung Pedenolo ins Valle di Fraele ab. Ich war der Einzige der den Weg in Richtung Punta di Rims einschlug. War okay, ich wollte dem Trailstau ja aus dem Weg gehen..
Irgendwann schaffte ich mich von dem herrlichen Aussichtspunkt zu lösen und begann den weiteren Aufstieg zur Punta. Aufstieg? Steig würde es besser treffen. Das Bike musste jetzt sehr häufig auf die Schultern. Immer wieder ging es steil bergauf und bergab.
Die kurzen Abfahrten waren sehr technisch und oftmals direkt an der Abbruchkante.
Alles in allem eine sehr zähe und kraftraubende Angelegenheit. Natürlich entschädigte der meist freie Rundumblick auf die umliegenden Bergketten, aber spätestens als ich an der ersten Kletterstelle mit Stahlseilsicherung ankam zweifelte ich ob nicht der direkte Aufstieg vom Umbrail Pass zum Piz die bessere Wahl gewesen wäre. Vereinzelt begegnete ich Wanderern, die mich ungläubig oder kopfschüttelnd beäugten, aber immer ein freundliches, aufmunterndes Wort für mich hatten. Wahrscheinlich sah ich nach dem ständigen auf und ab Geklettere ziemlich fertig aus. Die Schlüsselstellen konnte ich mit Mühe bewältigen und es kamen noch 2 oder 3 weitere, kritische Passagen bis ich schließlich den Gipfel erblicken konnte. Das Gefühl hier am Gipfel auf 3033m zu stehen war hoch. Leider war ich nicht alleine hier oben, aber zumindest der Einzige mit einem Fahrrad. Nach einiger Zeit Panorama auftanken kamen 2 weitere Biker von der anderen Seite hochgeklettert. Sie hatten den direkten Aufstieg vom Pass gemacht. Wir kamen sogleich ins Gespräch. Die zwei Spinner sind nachts mit dem Auto in Augsburg gestartet und heute Morgen von Sta. Maria die Passstraße aufgefahren und bis hier hoch aufgestiegen. Verrückt! Beide waren ältere Semester vielleicht Anfang sechzig und gerade total geflasht von dem was sie gerade erlebten. Sie erzählten mir von ähnlichen Trips die sie in den letzten Jahren gemacht hatten und bedauerten es sehr erst vor ein paar Jahren mit diesem genialen Sport angefangen zu haben und jetzt im Eiltempo das Verpasste nachholen wollen.. Sie hielten sich dann auch gar nicht lange am Gipfel auf, denn sie wollten am selben Tag wieder heimfahren. Krass aber gut. Ich verweilte noch ein bisschen am Gipfel bevor ich in die lange Abfahrt startete.
Es ging, trotz der Höhe, eigentlich relativ harmlos los. Die größte Schwierigkeit war das Bike im steilen Gelände über den Schwimmschotter zu steuern und auf der Pfadspur zu bleiben. Zu den Felsgrautönen kamen mit jedem Meter Abfahrt mehr und mehr Grün und Blumen dazu. Anfangs musste man noch sehr genau hinschauen, um die Naturschönheiten im Fels zu entdecken. Nur etwas tiefer schlängelte sich der Pfad durch üppige Blumenwiesen. Und dann plötzlich blitzte der Lai da Rims, der wohl schönste aller Schweizer Bergseen, türkisblau vor mir in der Sonne.
Und das war tatsächlich ein Naturerlebnis das man nicht alle Tage hat. Komplett naturbelassen, das Gras bis ans Ufer gewachsen. So konnte man sich auf einem Grasbüschel niederlassen und die Füße ins eiskalte Wasser baumeln – herrlich! Im Gras liegend lauschte ich den entspannungsfördernden Wellengeräuschen, die Wasseroberfläche glitzerte wie tausend Diamanten in der Sonne, im Hintergrund zirpte eine Grille und der Wind säuselte mir angenehm um die Ohren. So schön hier! Ich hatte mit viel Betrieb gerechnet, aber schon auf der ganzen Abfahrt hatte ich das Glück keiner Menschenseele zu begegnen und das war hier am See genauso. 2 kleine, rote Punkte waren von weiter oben noch auszumachen, die entfernten sich aber und waren schon weg, als ich am Ufer des Sees ankam. So konnte ich über 2h diese einzigartige Atmosphäre ganz ungestört genießen.
Schließlich machte ich mich auf zum Ende des Sees, wo sich ein kleiner Flußlauf gebildet hatte und das glasklare Wasser strömte hier zu einem Wasserfall in die Tiefe. Von so einem intensiven Naturerlebnis kann man den ganzen Winter über zehren.
Irgendwann lenkte ich mein Bike wieder in Richtung Trail und was jetzt kam ließ wieder mein Bikerherz höherschlagen! Der Trail wurde technischer mit engen Kehren und verblockten Passagen.
Das mag ich und genau so muss das sein! Nach einiger Zeit kam ich an den Aua da Rims. Gute 400 Meter höher rauschte der Wasserfall. Hier war es ein netter Bergbach. Heute. Vor ein paar Tagen musste der Wasserfall bis hier unten gewütet haben. Zwischen den mannshohen Felsen wurde die ehemalige Holzbrücke verkeilt. Sie war von den Wassermassen einfach abgerissen worden. Mir blieb nichts anderes übrig, als eine Möglichkeit zu suchen, kletternd und mit dem Rad am Arm auf die andere Seite des Baches zu kommen. Ich fand schließlich eine gute Stelle und kam trockenen Fußes auf die andere Seite. An mehreren Stellen war der Weg komplett weggespült oder unter einer riesigen Steinmurre begraben, aber ich kam immer gut durch und weiter. Der Rest der Abfahrt durch das Tal des Aua da Vau war eher unspektakulär, denn ab Tschuccai 1950m war der Trail leider zu Ende und es ging überwiegend auf einem breiten Schotterweg abwärts. Auch hier am unteren Einstieg der Bergtour wieder der absolut sinnvolle Hinweis an die Biker, auf einem Schild in mehreren Sprachen verfasst, zur gegenseitigen Rücksichtname zwischen Wanderern und Bikern, um Konfliktsituationen und gefährliche Manöver und vor allem Sperrungen zu vermeiden, den Wanderweg zwischen 10 und 15 Uhr für die Wanderer freizuhalten. Erst gegen Ende, am Einstieg durch eine liebevolle Baumschnitzerei gekennzeichnet, gab es noch ein paar kleinere Trailabschnitte und schließlich rollte ich wieder ein im Zentrum von Sta. Maria, wo ich tags zuvor mein Auto geparkt hatte.
Es waren nur ein paar Meter zu meinem Hotel Stelvio (http://www.hotelstelvio-valmuestair.ch/). Meine Gastgeber Coni und Stefan begrüßten mich sehr herzlich, so dass ich mich gleich wohl fühlte. Nur ein paar Meter vom Hotel gab es die Barlaina (http://www.chasa-jaro.ch/bar), wo ich für die kommenden Tage Stammgast zum Abendessen war.
Der dritte Tag: Samstag 10. August 2019
Sta. Maria – Val Mora – Alp Mora – Val de las Funtaunas – Piz Daint – Pass dal Fuorn – Sta. Maria
Am Morgen der bange Blick nach oben: dicke Wolken am Himmel und es nieselte schon leicht. Die bange Frage war, wieviel Wasser hielten die Wolken bereit, um es an geeigneter Stelle auf mich niederbrasseln zu lassen? Egal! Nach dem herrlichen Frühstück startete ich heute direkt vorm Hotel gleich in die steile Schotterpiste immer dem kleinen Flüsschen Aua da Vau entgegen pedalierend. Reh und Eichhörnchen genossen wie ich die prächtige Natur. Bis Tschuccai ging es ganz ordentlich bergan. An diesem Punkt hatte mich Gestern der herrliche Lai da Rims Trail ausgespuckt. Mein heutiges Ziel war ein anderes. Also weiter über Doss Radond, an einer urigen Einsiedlerhütte vorbei, bis sich bald die herrliche Hochebene Val Mora vor mir öffnete.
Es nieselte immer mal wieder. Große Steinreissen zeugten von heftigen Regenfällen in den letzten Tagen. Des Öfteren musste der Weg mit schwerem Gerät freigeräumt werden. Schon erstaunlich mit welchen Kräften das Wasser vom Berg kommend hier gigantische Felsenwacker hin und her schob. Da möchte man nicht ungünstig im Weg stehen..
Schließlich erreichte ich nach genussvoller Fahrt durch das Val Mora die Jausenstation Alp Mora. Mit vielen anderen Bikern machte ich eine ausgedehnte Mittagspause auf der Hüttenterasse und genehmigte mir, in weiser Voraussicht was heute noch vor mir lag, eine leckere Suppe “Plat Schoppa” für 8 CHF. Die Suppe war dick mit viel Gemüse, lecker und sättigend. Während ich mein Süppchen schlürfte brach eine Gruppe italienischer Biker auf. Allesamt gut 10 – 15 Jahre älter als ich, aber mit dicken Protektoren und Fullfacehelmen für alles gerüstet. Die hatten scheinbar noch was Größeres vor. Egal, irgendwann riss ich mich von der Tränke los und startete die Auffahrt in Richtung meinem Ziel. Der Berg ruft.. Anfangs als schöner, gut fahrbarer Waldtrail mit moderater Steigung ging es plötzlich sackesteil bergan. Durch das Val de las Funtaunas musste ich durchgängig mein Bike den Hang hochstoßen. Immerhin 250 Höhenmeter auf ganz kurzer Distanz wollten bezwungen werden.
Oben angekommen baute sich der Piz Daint vor mit auf. 3000m fetter Berg, Da wollte ich rauf bis ganz oben. Mein Puls war schon jetzt am Limit und beruhigte sich bei dem Anblick kaum. Zum Glück ging es erstmal sanft an grasenden Kühen vorbei durch eine schöne Hochebene. Überall Blumen und Kuhfladen.
An einer kleinen Hütte bei Döss dal Termel dann der Abzweig rechts hoch. Ab jetzt hiess es Bike auf den Rücken und den Hang hochschleppen. Der Gipfel lag fast 700 Höhenmeter über mir. Die Wegspur war wenig begangen und anfangs hatte ich etwas Probleme die rot/weißen Markierungen zu finden. Aber es war klar: einfach den Hang rauf stimmte schon. Beim Blick nach oben konnte ich ein-zweimal die Silhouetten anderer Berggänger ausmachen. Die kamen von oben über den Kamm der zum Gipfel führte. Das grüne, weiche Gras ist mittlerweile gänzlich den Felsen und Steinen gewichen. Nach einer letzten Steilstufe kam ich auch auf den Kamm. Da war nix mit Fahren, im ZickZack ging es durch die Steinfelder nach oben. Der Gipfel lag jetzt direkt vor mir. Rechts und links fiel es steil bergab. Hinter mir die grüne Hochebene von Jufplaun und tief unten konnte ich den Ofenpass erkennen, von dem man ins Val Müstair kommt. Ich war jetzt fast oben. Aber das letzte Stück war so steil, dass ich mein Bike im Hang deponierte und ohne Rad weiterkletterte. Die Wegspur war nur noch einen Waschlappen breit und so steil, dass man auf allen Vieren deutlich sicherer unterwegs war. Das mit dem Bike runterzurutschen, mit dem gähnenden Abgrund vor der Nase, wäre eine große Mutprobe gewesen. Auf diesen Mist habe ich gerne verzichtet. Einziges Manko: beim Foto am Gipfelkreuz fehlte mein Rad. Aber das war nicht so schlimm, denn der Rundumblick war fantastisch. Zwar zogen immer wieder dicke Wolkenschwaden direkt über meinen Kopf, so dass ich kurz im Nebel stand, und es zwar sehr zügig, aber hier oben zu stehen war schon ein ganz besonderes Glücksgefühl. Man fühlt sich so klein im Angesicht der gewaltigen Natur. Trotzdem steht man über den Dingen. Der Alltag, die Arbeit ist ganz weit weg und man fühlt sich einfach gut.
Allzulange blieb ich aber nicht hier oben. Nachdem ich mich im Gipfelbuch eingetragen hatte, verabschiedete ich mich von dem Holzkreuz und kletterte auf allen Vieren zurück zu meinem Bike, was nur etwa 30m tiefer brav auf mich wartete.
Auf das was jetzt kam freute ich mich wie ein Schneekönig. Der knifflige Wanderweg über den Kamm!
Ein paar unfahrbar, verblockte Stellen musste ich tragen, aber Vieles konnte ich im Sattel bewältigen. Immer mit der obersten Prämisse einen Sturz in jedem Fall zu vermeiden! An dem kleinen luftigen Sattel – diese herrlich, unwirtliche Mondlandschaft hier erinnerte mich sehr an die Fuorcla Ducan oberhalb von Davos – zweigte mein Wanderweg durch das Val Murtaröl ab und es ging ziemlich ruppig zu. Ein Meer von Steinen hier im Val Murtaröl. Am besten ließen sich die Passagen in diesem Meer aus Steinen absurfen, wo der Schwimmschotter nicht zu große Steinbrocken in den Weg legte. Ich navigierte mit dem Vorderrad in eine möglichst fahrbare Linie, daß Hinterrad rollte sowieso immer schön hinterher. Je weiter ich runter kam, desto flowiger wurde der Trail. In einer Senke musste ich noch durch ein dickes Schneefeld klettern und dann kam ich bei Davo Plattas auf den Wanderweg zum Ofenpass. Statt der Steine rollte ich durch ein Meer aus Blumen.
Der Trail zum Ofenpass drehte den Level wieder kurz nach oben und hielt einige ausgesetzte Passagen bereit.
Kurz danach war ich in der Zivilisation angekommen. Am Pass tummelten sich viele Ausflügler und die PS Boliden knarrten laut über die Asphaltstrasse. Kaum zu glauben, dass ich vor ein paar Minuten noch ganz alleine mit der Natur war. Sehsüchtig schaute ich zurück auf den Gipfel des Piz Daint, der über der Szenerie trohnte. Das Gipfelkreuz war bei genauem Hinschauen zu erkennen. Hier hatte ich mich vor nicht mal 2h ins Gipfelbuch eingetragen.
Vom Pass führte ein schneller Trail runter in Val Müstair. Mehrmals kam ich der Passstraße sehr nahe. Bei Tschierv verlief der Wanderweg sehr schön über Holzstege durch die Moorlandschaft Aintasom Pra dal Vegl nahe am Flüsschen Ill Rom entlang. Das letzte Stück bis Sta. Maria wollte ich eigentlich die Straße runterknallen, aber immer wieder gab es Abzweige in Wanderwege und schließlich konnte ich nicht widerstehen. Prompt waren noch ein paar Extrahöhenmeter fällig, aber ich wurde dafür mit einem schönen Blick auf den Ort belohnt. Ein toller Biketag ging auf dem Hotelparkplatz zu Ende. Feierabend – reicht für heute..
Nach der Dusche streunte ich noch ein wenig durch Sta. Maria, bevor ich wieder in der Barlaina (http://www.chasa-jaro.ch/bar) zum Abendessen einkehrte.
Der vierte Tag: Sonntag 11. August 2019
Tschierv – Plaun dals Bovs – Plaun da L’Aua – Alp da Munt – God da Munt – Tschierv – Ofenpass – Lai da Juata – Bank – Alp Champatsch – Tschierv
Nach den anstrengenden Tagen fahre ich heute Morgen erstmal mit dem Auto rauf bis Tschierv. Ich überlege ob ich das Postauto nehmen soll, bin aber zu stolz dafür und trete den Trail bis kurz unterhalb vom Ofenpass rauf. Hier folge ich dem Abzweig Richtung Plaun dals Bovs und rolle in die herrliche Hochebene Plaun da L’Aua.
Kurz hinter der Alm Alp da Munt, die im Sommer leider geschlossen hat, beginnt laut Karte ein verlockend aussehender ZickZack-Trail, durch die Steilhänge von Chazzolas und God da Munt runter nach Tschierv. Der Weg ist schmal und kunstvoll in den Steilhang gemalt.
Anfangs waren die Spitzkehren auf der engen Fahrspur für mich nicht fahrbar. Aber selbst auf den graden Stücken war es eine spannende Herausforderung auf dem Rad zu bleiben.
Das Vorderrad will unweigerlich in Richtung Hang lenken und höchste Konzentration war gefordert.
Die Blumenwelt, mit Schmetterlingen in allen Farben war fantastisch.
Nach dem ersten Drittel nahm der Flow kein Ende und ich schoß mit hohem Tempo zurück nach Tschierv. Ich cruiste nochmal rauf und runter über die Holzstege durch das Moor und beschloss danach gleich nochmal mit dem Postauto zum Ofenpass zu fahren. Stündlich um xx:50 ging einer und mit 6.60 CHF war man dabei und sparte sich 400 Höhenmeter schweißtreibende Auffahrt. Geil!
Oben am Pass angekommen nahm ich diesmal den Wanderweg vom Pass zur Palun da L’Aua. Der Trail entpuppte sich als super Ding mit viel Auf und Ab über Steine und Wurzeln. Gut ausgetreten und deswegen auch gut fahrbar. Danach folgte die herrliche Querung der Plaun da L’Aua Hochebene, bis ich hinter der Alp da Munt eine Entscheidung treffen musste. Ich wollte was Neues probieren und ließ den ZickZack-Trail von heute Morgen rechts liegen und fuhr weiter Richtung Champatsch. Auf dem unbekannten Weg gab es mehrere schöne Überraschungen: zuerst eine herrliche Aussichtsbank. Hier in Gesellschaft von nachvollziehbar, entspannten Kühen konnte man den weiten Blick über das grüne Val Müstair bis zur vergletscherten Ortlergruppe in sich aufsaugen. Dann der tolle Trail bis kurz vor der Alpe Champatsch, wo ich auf der Terrasse des zugehörigen Restaurants La Posa eine leckere Speckknödelsuppe genoss. Quasi direkt vor der Hütte sah man schon den Traileinstieg. Mit vollem Magen droppe ich in die steile Abfahrt, beinahe kerzengerade zurück nach Tschierv. In wenigen Minuten verballert man die gut 400 Höhenmeter.
Wieder in Tschierv checke ich den Postautoplan. Um 16:32 Uhr soll einer kommen, das passt, also warten. Mit etwas Verspätung kam ich ohne große Anstrengung, nur um 6.60 CHF leichter, wieder oben am Ofenpass an, um die gleiche Runde nochmal zu drehen. Jetzt fallen mit wieder Sachen am Wegesrand auf, die ich vorher nicht gesehen hatte. Zum Beispiel die spannende Sage der Bergfeen bei der Alp da Munt, die die Sanddolinen, eine Ansammlung von auffälligen Hügeln genau hier, anschaulich erklärte. Bei der Aussichtsbank saß ich noch eine ganze Weile und ließ die Erlebnisse der letzten Tage etwas sacken.
Mein hinterer Bremsbelag war fast durch und es klang verdächtig nach Metall auf Metall. Aber der Gute hielt bis zum Schluß durch. Einmal musste ich noch kräftig in die Eisen gehen. Ein Murmeltier schlug Pfeifalarm und verschwand direkt vor mir in seinem Bau. Ich blieb ruhig stehen und wartete einen Moment. Schließlich trieb ihn seine Neugier wieder nach oben und ich konnte einen Schnappschuß dieses scheuen Tieres bekommen. Danke dafür!
Auf meiner Karte gab es unterhalb der Alpe Champatsch noch eine weitere gestrichelte Linie, die ich ausprobieren wollte. Es ging noch einmal auf schönem Weglein an Wasserfällen vorbei in einen Zauberwald mit Waldspiellatz bis zurück nach Tschierv, wo mein Auto auf mich wartete.
Ich blieb noch eine Nacht hier im schönen Münstertal und fuhr am nächsten Tag heim. Ich werde wiederkommen 🙂
Distanz: 110km. Positiver Höhenunterschied: 4500hm.
0 Kommentare